DER SEEWOLF - Ein Vergleich zwischen Roman u. Vierteiler

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31. Januar 2013

Anlässlich des Erscheinens des legendären Adventsvierteilers DER SEEWOLF mit Raimund Harmstorf als Wolf Larsen und Edward Meeks als Humphrey van Weyden auf Blu-ray geht es hier um einen Vergleich zwischen dem Roman Jack Londons und den Inhalten der vier Teile der Verfilmung.
Ich gehe davon aus, dass jeder, der Interesse an diesem Blog hat, die vier Teile gesehen hat. Wer das Buch noch nicht gelesen hat, darf es gerne mal aufschlagen. Ich habe es nach dem ersten Teil angefangen und kurz nach dem vierten Teil beendet. Wie gut, dass es so viele Bücherkartons auf dem Dachboden gibt. Jack London gehört in jeden gut sortierten Haushalt.

jack london
Jack London (1876 - 1916) Quelle: theguardian.com
Zwischen dem Inhalt des Buches DER SEEWOLF und der gleichnamigen Verfilmung aus dem Jahre 1971 gibt es signifikante Unterschiede. Daher steht im Vorspann auch wohlweislich „Ein Fernsehfilm in vier Teilen nach dem gleichnamigen Roman und anderen Erzählungen von Jack London“. Der Roman allein hätte wahrscheinlich vier Teile Film zu je 90 Minuten nicht füllen können und ohne vier Teile gibt es keinen Adventsvierteiler. Zudem gehe ich davon aus, dass die ganzen sadistischen Grausamkeiten, die auf der „Ghost“ an der Tagesordnung sind, wenn sie ohne die Rückblenden in Wolf Larsens und Humphrey van Weydens  Jugend (einiges an Sadismus wurde ausgelassen oder verkürzt) am Stück gezeigt worden wären, dem Publikum die Freude auf Weihnachten verdorben hätte.

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Der junge van Weyden (Quelle: ytimg.com)
Im Buch haben der Kapitän der „Ghost“  und der Schriftsteller Humphrey van Weyden keine gemeinsame Vergangenheit. Die Rückblenden, die zeigen wo und wie die beiden sich kennengelernt haben, sind für die Geschichte von DER SEEWOLF nicht nötig. Wir erfahren ja schließlich auch in der Verfilmung durch die Ereignisse an Bord, dass van Weyden aus einer reichen Familie stammt,  sein Leben bislang hinter Büchern verbracht und vom Geld seines Vaters lebt, während Larsen, der Autodidakt, sich Wissen angeeignet hat und ohne je eine Schule besucht zu haben, sich auf seine jetzige Position gekämpft hat. Zudem bleibt das Kennen bzw. Erkennen in der Verfilmung ohnehin eine einseitige Sache, da nur van Weyden anhand der Literatur in der Kajüte des Kapitäns merkt, um wen sich handelt, sich aber hütet, sein Wissen preiszugeben.

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Autodidakt Larsen als Junge beim Büffeln (Quelle: ytimg.com)
Van Weyden, der Schiffbrüchige, der gegen seinen Willen an Bord der „Ghost“ festgehalten wird und nun mit auf Robbenjagd muss, steigt in der Hierarchie der „Ghost“ rasch auf. Vom Kombüsen Jungen wird er schnell zum Steuermann befördert, auch wenn er von den mit Stelle verbundenen Aufgaben nichts versteht. Im Buch wird van Weyden gar noch zum Arzt und Chirurgen, bei all den Wunden, die zu versorgen zu sind. Doch weit mehr wird sich seine Persönlichkeit entwickeln.

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Das Alphatier Larsen (Quelle: imageshack.us)
Der Charakter von Wolf Larsen ist der eines Mannes ohne jegliche Moral, der Auflehnung gegen seine Autorität sofort mit roher Gewalt straft, der einen Unbewaffneten ebenso leicht töten würde, wie er eine Zigarre raucht. Das Leben hat für ihn keinen Wert.
„Leben? Pah! Es hat keinen Wert. Von allem, was billig ist, ist Leben das Billigste. Überall geht es betteln. Die Natur streut es verschwenderisch aus. Wo Raum für ein Leben ist, sät sie tausend, und Leben frisst Leben, bist nur das stärkste und gemeinste übrigbleibt“. (Wolf Larsen)
Humphrey van Weyden dagegen ist ein Mann mit Moral und misst dem Leben Wert bei, jedoch kommen ihm im Laufe seiner Odyssee angesichts „der maßlosen Vernichtung menschlicher Seelen“, deren er Zeuge wird und den psychischen und physischen Grausamkeiten, denen auch er ausgesetzt ist, immer wieder Zweifel an seiner Einstellung und schließlich ist er sogar selbst bereit, zu töten.
So zeigt uns die erste blaue Scheibe die Folgen „Ein seltsames Schiff“ und „Kurs auf Uma“. Für diese Folgen wurden die immer wieder äußerst philosophisch angehauchten Dialoge zwischen Larsen und van Weyden, durch die London seine harsche Gesellschaftskritik schimmern lässt,  häufig  1:1 aus dem Buch übernommen. Ebenso verhält es sich mit den Geschehnissen an Bord der „Ghost“. Erstklassig in der Verfilmung ist der innere Monolog van Weydens, der einen richtig am Gefühlsleben der Figur teilhaben lässt. Die Rückblenden in die Jugendzeit der beiden Protagonisten, die übrigens perfekt in die Erzählung eingefügt wurden,  stammen zum Teil aus dem Buch „Abenteurer des Schienenstranges“, in denen Jack London seine Erlebnisse als Hobo verarbeitet hat. Ich schreibe „zum Teil“, da ich nicht alle Werke Londons kenne und es durchaus sein kann, dass die Autoren noch in andere Bücher gegriffen haben.

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Der Mann mit Moral (Quelle: ytimg.com)
Bei der zweiten blauen Scheibe wird es dann nicht nur ein wenig holprig, sondern auch ein wenig zäh. Folge 3, die den Titel „Das Land der kleinen Zweige“ trägt, wollte gar nicht enden… dauerte ungefähr gefühlte sechs Stunden, was allerdings auch daran gelegen haben kann, dass ich die Folge  fiebrig, unter drei Decken gehüllt, genossen habe. Hier kommen fünf Schiffbrüchige an Bord, unter ihnen einen Frau. Die Robbenjagd, die im Buch ausführlich geschildert wird, fällt bei der Verfilmung aus… vermutlich aus Kostengründen geschehen. Die Erklärung: die „Macedonia“, ein Dampfer mit großer Jagdbesatzung, hat die Fanggründe mehr oder weniger leergeschossen. In der Verfilmung ist der Kapitän der „Macedonia“ nicht der Bruder Wolf Larsens, Tod Larsen. Die Verfilmung zieht mit dem Roman dann wieder nahezu gleich, als Kapitän Larsen eine Nebelbank ausnutzt, um die Boote der „Macedonia“ samt Besatzung „einzusammeln“ und die Robbenjäger mit Waffengewalt an Bord zwingt. Larsen lässt reichlich Schnaps ausschenken, um die Jäger der „Macedonia“ gefügig zu machen. In der Nacht fällt Larsen über die Schiffbrüchige, Maud Brewster, her… doch van Weyden kann noch dazwischen gehen. Er ist bereits zu töten, als Larsen plötzlich einen Anfall von rasenden Kopfschmerzen bekommt und hilflos ist. Als der Wolf in seiner Kajüte daniederliegt, nutzen van Weyden und Maud Brewster die Gelegenheit zur Flucht… sie packen Wasser, Decken und Proviant in eines der Boote und verlassen die „Ghost“. 
Nach einer tagelangen Irrfahrt und von schwerer See gebeutelt, erreichen Maud und Humphrey eine Insel. So, hier holpert es nun kräftig in der Verfilmung, denn Humphrey wacht alleine im Boot auf der Insel auf – Maud ist weg… ertrunken? Dafür sitzt am nächsten Morgen Wolf Larsen neben ihm an einem Lagerfeuer! Wer hätte das gedacht? Die „Ghost“ wurde von der „Macedonia“ gekapert und er wurde auf dieser Insel ausgesetzt. Die beiden machen sich auf den Weg über die Insel, denn auf der anderen Seite soll eine meteorologische Station sein… van Weyden verstaucht sich den Fuß und Larsen, der Mann ohne Moral, das Alphatier, der Kaliban, der Höhepunkt aller Barbarei, geht einfach weiter. Was uns die Verfilmung nun zeigt, ist die pure Agonie eines Mannes aus der Kurzgeschichte „Der Lebenswille“, der von seinem Partner aus demselben Grund im Stich gelassen wird. Diese Kurzgeschichte hat es nahezu komplett in DER SEEWOLF geschafft. Nach all den Grausamkeiten, die van Weyden ertragen musste, nun auch noch Todeskampf. Für die Entwicklung der Figur nicht im Geringsten von Bedeutung. Nur wichtig, um nach dem krassen Bruch mit dem Roman van Weyden wieder nach San Francisco zu kriegen.

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Überleben (Quelle: ytimg.com)
Der vierte Teil mit dem Titel „Die Suche nach der verlorenen Insel“ hat nun bis auf den Schluss nichts mit dem Roman „Der Seewolf“ gemeinsam. Zudem halte ich diesen Teil für äußerst zäh inszeniert – auch ohne Fieber! Nach dem van Weyden die andere Seite der Insel erreicht hat und in einer letzten Kraftanstrengung den Wolf, der ihn seit Tagen verfolgte, getötet hat (in der Verfilmung sieht mir das aus wie ein niedlicher Schäferhund), finden ihn Männer der Mannschaft des Walfängers „Bedford“ und es geht zurück nach San Franzisco für ihn. Keine philosophischen Diskussionen über die Unsterblichkeit der Seele, keine sadistischen Grausamkeiten, stattdessen ein van Weyden, der ein eigenes Schiff besitzt und Wind davon bekommt, dass Larsen noch am Leben ist, sich auf die Suche nach ihm macht und schließlich die „Ghost“ auf einer Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist, findet – mit Larsen an Bord. Was dazwischen so passiert, ist wirklich belanglos und künstlich gestreckt, um das Ende des Romans hinauszuzögern. Welche Teile von Büchern  hier zugrunde gelegt wurden, ist mir nicht bekannt bzw. falls ich sie gelesen habe, erinnere ich mich nicht mehr daran. Im Gegensatz zu den anderen Einfügungen sind diese hier misslungen.  
Tja… und im Buch bauen sich Maud und Humphrey eine Hütte auf der Insel. Gerade als sie an die Vorbereitungen gehen, um den Winter überstehen zu können,  liegt die „Ghost“ am Strand. Wolf Larsen ist noch an Bord – blind! Sein Bruder hat es schließlich geschafft,  die „Ghost“ zu kapern. Er wurde auf seinem eigenen Schiff ausgesetzt. Was jetzt folgt ist die minuziös geschilderte Instandsetzung der „Ghost“ mit der vollen Ladung Fachbegriffe für die Teile vom Schiff, wobei Larsen trotz seiner Blindheit ein größerer Sabotageakt gelingt, der die Arbeit von Tagen vernichtet. Ebenso präzise wird der Todeskampf Larsens geschildert, der vermutet: „Irgendetwas ist mit meinem Gehirn los. Ein Geschwür, ein Tumor oder etwas Derartiges – etwas, dass frisst und zerstört.“ Trotzdem kommt der Wolf nochmal nach vorne und schafft es beinahe, van Weyden umzubringen. Sein Würgegriff löst sich erst, als Maud ihm einen Robbenknüppel über den Kopf zieht. Er wird halbseitig gelähmt, taub auf einem Ohr und kann schließlich nicht mehr sprechen. Kurz nach der Abreise verstirbt Wolf Larsen und wird von van Weyden der See übergeben.

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Der kranke Wolf (Quelle: ytimg.com)
Rund sind beide Geschichten dennoch, denn ohne Wolf Larsen wäre van Weyden in beiden Fällen nicht zu dem Mann geworden, den die Umstände aus ihm gemacht haben. In der Verfilmung hat es einen romantischen Touch, dass van Weyden ein eigenes Segelschiff hat und die Liebe zum Meer entdeckt hat, zum Südseevagabunden wurde. Die Worte, die er im Roman spricht, als Larsens Leiche ins Meer kommt, lassen keine Romantik zu: „Ich erinnere mich nur an eine Stelle im Gottesdienst“, sagte ich, „nämlich: Und dein Leib soll in die See geworfen werden.“  Mit diesen Worten hat Larsen nämlich seinen Steuermann der See übergeben.
Dies ist das Ende von Wolf Larsen, der für sich sowohl im Film als auch im Roman feststellt, dass es sein größter Fehler gewesen ist, jemals ein Buch aufgeschlagen zu haben.
Die Bildqualität mögen sicher viele Leute sehr gut finden, weil das Bild rasiermesserscharf ist. Mir ist es jedoch zu digital aufpoliert worden, was immer wieder zu unnatürlichen Gesichtern führt, deren Haut aussieht wie poliertes Wachs. Mir wäre ein filmischer, analoger Look lieber gewesen. Erstaunt hat mich die in einigen Szenen vorhandene räumliche Tiefe des Bildes. Das hat wirklich Freude gemacht. Die Farben gehen in Ordnung, wenn man ein paar Punkte Farbe rausnimmt. Geschaut habe ich auf einer 16:9 Rahmenleinwand.
Die DTS-HD Master Audio 1.0 Tonspur ist nun nicht der Bringer, aber was will man bei so einem alten TV- Film, der dazu größtenteils dialoglastig ist, schon ausrichten. Schön wäre es gewesen, wenn die Atmosphäre an Bord mit See und Wetter akustisch ein wenig eindringlicher rübergekommen wäre. Der innere Monolog aus dem Center ist auf jeden Fall pure Magie!
Die Verpackung und das Booklet sind sehr schön aufgemacht, das Bonusmaterial sehr spärlich ausgefallen.
Meine letzte Sichtung von DER SEEWOLF liegt über 30 Jahre zurück. Mir hat es auf jeden Fall Spaß gemacht, noch einmal mit van Weyden an Bord der „Ghost“ zu gehen, um dort Wolf Larsen und den schmierigen Koch zu treffen und ich kann die Edition von diesem Stück Fernsehgeschichte auf jeden Fall empfehlen.
Vielleicht kommt ja irgendwann mal eine Auflage mit der Originalstimme von Raimund Harmstorf. Er wurde ja leider synchronisiert. Es gibt ja genug Minen auf dieser Welt und wie wir alle wissen, lagern „verschollene Masterbänder“ meistens dort. Würde mich sehr interessieren, wie Wolf Larsen dann wirkt.
Jack London wurde am 12.01.1876 als John Griffith in San Franzisco geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Er schlägt sich als Fabrikarbeiter, Landstreicher und Seemann durch, holt das Abitur nach und beginnt zu studieren, geht dann als Goldsucher nach Alaska, lebt monatelang im Elendsviertel von London, gerät als Korrespondent im russisch-japanischen Krieg in Gefangenschaft und bereist die ganze Welt. Am 22.11.1916 setzt der berühmte Schriftsteller auf seiner Farm in Kalifornien seinem zuletzt von Alkohol, Erfolg und Extravaganz geprägten Leben eine Ende. London hat hervorragende Tiergeschichten verfasst, Kurzgeschichten, naturalistisch-romantische Abenteuerromane und Romane, denen zumeist eigene Erlebnisse zugrunde liegen.

Jack London in 1916
Jack London 1916 (Quelle: lrb.co.uk)
Die Geschichte aus dem Elendsviertel in London ist übrigens wahrlich krass… da wird einem speiübel! Auf was der Mann sich alles eingelassen hat. Empfohlen sei hier noch eindringlich „Der Ruf der Wildnis“ zu lesen und danach „Into the Wild“ in den Player zu schieben!
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Was für ein äußerst umfangreicher und interessanter Blog-Beitrag, vielen Dank hierfür!
tantron
03.02.2013 um 19:21
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